von Martin Leipert
In der Diskussion um das mögliche Baugebiet am Michelsberg werden immer wieder zwei Hauptargumente genannt:
- Gräfenberg brauche mehr Einwohner, um sich seine freiwilligen Leistungen leisten zu können.
- Dafür müsse mehr Bauland zur Verfügung gestellt werden. Am besten für Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese.
Ein Blick in die Bevölkerungsstatistiken, die dem Stadtrat regelmäßig vorgelegt werden, zuletzt im Herbst 2024, zeigt jedoch ein anderes Bild. Die Prognose geht von einem moderaten Wachstum von rund 100 Personen bis 2030 aus. Danach wird die Bevölkerungszahl voraussichtlich wieder sinken. Um jeweils 25-30 Einwohner pro Jahr, also ziemlich rapide. Die langfristigen demografischen Trends, niedrige Geburtenrate, gebremste Zuwanderung, bestätigen diese Entwicklung.
Ganz anders die Zahlen, auf denen der aktuelle Flächennutzungsplanentwurf basiert: Diese beruhen auf Mittelwerten aus den vergangenen Prognosen (die aktuelle lag zum Zeitpunkt der Erstellung des Vorberichts nicht vor) und gehen von weiterem Wachstum aus, ohne nachlassende Wanderungsbewegungen und die niedrige Geburtenrate zu berücksichtigen. Doch woher sollen all die neuen Einwohner kommen, für die neue Baugebiete wie am Michelsberg vorgesehen sind? Der ehemals große Treiber des Bevölkerungswachstums – die Zuwanderung – ist politisch inzwischen unerwünscht.
Wachstum nicht um jeden Preis
Ein echter Wachstumsschub wäre nur durch eine bessere Anbindung denkbar, etwa durch einen S-Bahn-Anschluss nach Nürnberg oder einen dichteren Takt der Gräfenbergbahn – ähnlich wie im Münchner Umland. Doch das ist Zukunftsmusik. Realistisch betrachtet wird Gräfenberg keine massive Bevölkerungszunahme erleben.
Hinzu kommt: Die Zielgruppe junger Familien, die sich Einfamilienhäuser im Grünen wünschen, schrumpft. Stattdessen wächst die Zahl älterer Menschen, die barrierefreie, kleinere und zentral gelegene Wohnformen benötigen – keine großzügigen Neubauten am Stadtrand. Damit dürfte sich ein weiteres Argument pro Wachstum, der angeführte Bedarf nach mehr Wohnfläche pro Person, als Farce erweisen: Gerade von Senioren ist die Reduktion der Wohnfläche vom Einfamilienhaus auf eine Wohnung durchaus nachgefragt. Ein entsprechendes Angebot fehlt in Gräfenberg jedoch. Das allein könnte schon Wohnraum, insbesondere vorhandene Einfamilienhäuser, mobilisieren.
Neubau am Michelsberg: teuer und riskant
Die Erschließung des Michelsbergs wäre aufwendig und teuer: Allein die Straße ab dem REWE-Markt würde rund einen Kilometer lang. Um diese Investition zu rechtfertigen, wäre eine dichte und schnelle Bebauung notwendig – mit all den Risiken, die wir schon kennen:
- In den 2000er Jahren entstand in „West II“ kaum neuer Wohnraum. Bis die Stadt die Investition wieder drin hat dauert es in diesem Fall lang.
- In „West III“ führte eine zu schnelle Bebauung zu stark schwankendem Bedarf an Betreuungsplätzen – mit hohen Folgekosten für die Stadt, weil Containerkindergärten hochgezogen werden mussten.
- Ebenso wird strategische Stadtplanung, lange geplante und aufrecht erhaltener Grünflächen, wie die Frischluftschneise zwischen Altenheim und West III einfach mal über den Haufen geworden. Der Verlust der Frischluftzufuhr für den Stadtkern ist in Zeiten immer neuer Temperaturrekorde im Sommer fatal. Der Verlust einer Grünfläche in Anbetracht der weiteren Ausdehnung der beiden großen Steinbrüche am Ortsrand ebenso.
Dabei gibt es Alternativen.
Bestandsentwicklung statt Flächenverbrauch
Auch im Bestand lässt sich der Traum vom Eigenheim verwirklichen – mit Kreativität, Planung und Mut zur Sanierung. Ja, das kostet Mühe und Zeit. Aber der Mehrwert ist groß:
- Keine plötzlichen Spitzen bei Kindergartenplätzen.
- Architektonisch ansprechende Einzelhäuser statt uniformer Neubausiedlungen.
- Geringere Kosten für Erschließung und Infrastrukturpflege.
Ein gelungenes Beispiel bietet Hofheim in Unterfranken: Durch einen Ausweisungsstopp für Neubaugebiete wurden Investitionen in die Ortskerne gelenkt. Es entstanden Einfamilienhäuser mit Charakter – mittendrin, statt außen vor. Auch in Gräfenberg gibt es gelungene Beispiele für Sanierungen und Nutzung des Bestandes: Die Sanierungsprojekte der Altstadtfreunde, wie die Wohnungen im Gesteigertor und Hiltpoltsteiner Tor, diverse umgenutzte Scheunen am Michelsberg, das „Frau Kunni“ in Kasberg oder das Anwesen Sollenberg 5 um nur einige zu nennen.
Leerstand aktiv angehen
Auch in Gräfenberg wächst der Leerstand im Ortskern. Ihn zu ignorieren und stattdessen neue Flächen am Stadtrand zu versiegeln, bedeutet doppelten Verlust:
- Der Ort franst aus, Grünflächen verschwinden, die Klimaanpassung leidet, damit schwindet die Lebensqualität.
- Das Zentrum verliert an Leben, während am Rand Auto-orientierte Schlafsiedlungen entstehen.
Der in der Stadtplanung weithin bekannte „Donut-Effekt“, wie er auf dem Land allerorten beklagt wird.
Verantwortung für die Allgemeinheit
Immobilienleerstand und brachliegende Baugrundstücke sind kein Naturgesetz. Oft werden sie bewusst zurückgehalten – nicht selten, weil der Bodenwert von Jahr zu Jahr steigt, ganz ohne Zutun. Immobilienspekulation bietet dann auch bessere Renditen als Sparbuch und dabei weniger Risiko als die Börse. Wer die Zeche zahlt? Die Allgemeinheit: sinkende Lebensqualität, steigende Infrastrukturkosten und die Streichung freiwilliger Leistungen durch die Kommune, weil der Erhalt der Infrastruktur die kommunalen Finanzen frisst. Eine Grundsteuer C, die diesem Trend entgegenwirken könnte, wurde von der Landespolitik – namentlich von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger – verhindert. Auch sonst kommen von FW und CSU keinerlei Impulse den Flächenfraß zu bremsen. Trotz anderslautender Versprechungen der bayrischen Staatsregierung nach dem Volksbegehren.
Es gilt laut Verfassung: Eigentum verpflichtet; sein Gebrauch hat zugleich dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen. Gemeinwohlorientierter Gebrauch heißt nicht Leerstand, sondern Nutzung. Damit gäbe es durchaus eine tragfähige Grundlage für Leerstandsbekämpfung.
Ein anderer Weg ist möglich
Die Forderung „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ ist nicht neu – und wurde auch in Gräfenberg diskutiert. Leider wurden in dieser Legislatur alle entsprechenden Anläufe aufgegeben. Stattdessen wird Bauland „auf der grünen Wiese“ als schnelle Lösung präsentiert – mit teuren Langfristfolgen. Dabei stehen 8 Hektar baureifes Land zur Verfügung und viele Bestandshäuser leer. Allein mit dem Bestand kann das Gemeindegebiet auch 5000 Einwohner beherbergen.
Dabei gibt es gute Gründe, auf eine nachhaltige, lebensnahe Entwicklung zu setzen:
- Statt Infrastruktur auf Verdacht zu bauen, kann man Bestehendes stärken.
- Statt Geld für immer neuer Straßen, Kanäle und Containerkindergärten am Ortsrand auszugeben, können Freibad, Dorfgemeinschaftshaus oder Jugendzentrum erhalten und ausgebaut werden.
- Statt auf das Auto angewiesen zu sein, kann somit Leben im Ortskern ermöglicht werden – mit Begegnungen, Nähe und Qualität.
Nicht möglichst viel, sondern möglichst qualitätvoll bauen sollte die Devise sein. Nicht Wachstum um jeden Preis, sondern zielgerichtete Ortsenwicklung und Angehen von Problemstellen. Aktives Leerstandsmanagement, wie es andere Gemeinden bereits machen. Aber ja, das kostet die Stadtverwaltung wohl mehr Energie, als schnell mal ein paar Baugebiete auszuweisen. Am Ende muss man auch bedenken: Nicht muss das mehr an Infrastruktur zukünftig finanziert werden, sondern zu ihrer Finanzierung stehen auch weniger Steuerzahler zur Verfügung.
Das Beispiel Sparneck